NO20 Ja wo leben wir denn

Gerald Domenig
Goldstein Galerie, Frankfurt am Main

1. September – 9. Oktober 2016

Heuer am 28. Juli war G.D. Pilze suchend im Eggforst unterwegs. Einmal hörte er in einiger Entfernung Stimmen. Aber Entfernung ist im Wald etwas sehr Relatives. Und einmal war auf dem Forstweg keine zweihundert Meter unterhalb seines Standorts kurz eine Person zu sehen. Wenn man allein ist, spricht man ins Leere, will sagen, im Wald macht man sich so seine Gedanken, und die sind durchaus vom Wald mitformuliert. Es gab also diesen Moment der Zusammenarbeit. Für die Eintragung ins Notizbuch zuständig war G.D. Er befand sich in einem gemütlichen, bemoosten Abschnitt, als er sich dazu bequemte, das Notizbuch, seinen ständigen Begleiter, aus einem total durchgeschwitzten Sakko zu ziehen und zu notieren: „Pilze haben immer schon die Nähe zum Menschen gesucht.“ Das war ein guter Auftakt. Er sammelte danach an dem Hang immerhin fast ein Kilo Pfifferlinge. Zehn Jahre zuvor hatte er in Ermangelung vornehmerer Pilzarten einige besonders schöne Exemplare des Habichtspilzes aus Kärnten nach Frankfurt mitgebracht, und sie, nachdem sie getrocknet und verschrumpelt waren, fotografiert. Eine für ihn typische Aktion.
Objekte mit einer Tendenz zum Mysteriösen fotografiert er, um sie so gut wie unkenntlich zu machen. Meistens macht er sie kleiner, flacher, so flach wie möglich, und er codiert sie in
Schwarzweiß. Und er hat sich wieder einmal verplappert. Er hat verraten, was eigentlich als Rätsel gedacht war. Die Fotografien stellen für jeden Betrachter, der nicht gerade mit einem
Habichtspilz persönlich befreundet ist, ein Rätsel dar. Der Künstler sieht ja ein Kunstwerk grundsätzlich als Aufgabe für den Betrachter an. Ein echtes Rätselbild steht nicht im Widerspruch zu seiner künstlerischen Arbeit.
Die Einladungskarte ziert das Foto eines maskenähnlichen, organisch aussehenden Dings, das einen dem verschrumpelten Pilz ähnlichen Rätselcharakter aufweist. Ein zweites Mal wird er sich nicht verplappern. Wir freuen uns auf die Aufklärung. In Frankfurt wimmelt es nur so von Botanikern, die sich darauf freuen, uns bei der verbindlichen Bestimmung des pflanzlichen Maskenwesens weiterzuhelfen, von dem in der Ausstellung mehrere Variationen gezeigt werden sollen. Nennen wir sie die Maskenserie. Die Aufnahmen stammen aus dem Jahr 2007, die Abzüge sind neu. 2007 ist keine gerade Zahl. Neun Jahre her ist nicht zehn Jahre, und doch will G.D. sie gerade jetzt ausstellen. Im Ausstellungstitel findet sich aus diesem Grund kein Hinweis auf Zeit. Er fragt nicht: „Wann leben wir denn?“ Das wäre ja auch eine unsinnige Frage. Wir leben genau dann, wann wir leben, eigentlich nur dann. Es wäre trotzdem eine schöne Frage gewesen, und sie hätte in jedem Fall ein Fragezeichen bekommen, im Unterschied zur Pseudofrage „jawolebenwirdenn“. Der Titel verweist auf die Seite der Galerie, auf der Fotografien gezeigt werden sollen, die in der Umgebung der Galerie entstanden sind, gestern, vorgestern und vorvorgestern. Eine Pfütze an der Kreuzung Schwanthaler/Oppeneimer, gegenüber von „Krögers Brötchen“, hat er vor vielen Jahren fotografiert, und er freut
sich darauf, das Foto demnächst zum ersten Mal ausgestellt sehen zu dürfen. G.D. ist ein hartnäckiger Anhänger der These, daß früher alles besser war. Seine besten Fotos hat er alle früher gemacht.
Eine Zeichnungsgruppe, präsentiert in der Technik, wie er sie 2015 für da MMK entwickelt hat, soll die Ausstellung komplettieren und auflockern. Zwei Diashows sind geplant, angekündigt in der abgekürzten Version des Ausstellungstitels, jwlwd. Klingt es nicht ein wenig nach janz weit draußen? So wie man es gewöhnt ist, Diashow über die Sahara? Nicht mit uns. Unsere Diashows spielen in Frankfurt, möglicherweise in Sachsenhausen.

Veranstaltungen:

8. September, 19 Uhr
jwlwd 1
Diasvortrag von Gerald Domenig

6. Oktober, 19 Uhr
jwlwd 2
Diasvortrag von Gerald Domenig,